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Kerstin Raftis

Wenn der Tod zu plötzlich kommt!

5 Entscheidungen, die ich mit dem heutigen Wissen, in der Todesnacht

meines Papas anders machen würde!


Der folgende Text erschien erstmals im

Rahmen des Memento Tags am 08.08.2020


Manchmal frage ich mich, warum wir Deutschen zum Thema Tod so wenig wissen, warum wir nicht aufgeklärter sind. Warum das Thema so sehr totgeschwiegen wird, obwohl das Sterben zum Leben unweigerlich dazu gehört. Mit dem Wissen von heute, hätte ich so einiges anders gemacht, in der Nacht, in der mein Papa viel zu plötzlich starb.


Er ist mit gerade mal 70 Jahren völlig unerwartet zu Hause gestorben. Wenn man „zu Hause“ liest, könnte man meinen, er sei im Kreis der Familie gestorben. Leider war es nicht so. Es war ein ganz normaler Tag, mein Papa hat lange gearbeitet, kam nach Hause, ging ins Badezimmer und hat dort ungewöhnlich lange gebraucht. Als meine Mutter nach ihm sah, war er tot. Als ich dazu kam, versuchte der herbei gerufene Notarzt sein Möglichstes, konnte ihm aber nicht mehr helfen. Alles ging so unfassbar schnell. Meine Mama, meine Geschwister und ich waren völlig vom Tod überrumpelt. Und das Schlimmste war, keine zwei Stunden später, wurde er auch schon vom Bestatter abgeholt. Viel zu schnell um Abschied zu nehmen. Viel zu schnell um den Tod überhaupt zulassen zu können. Es gibt fünf Entscheidungen, die ich mit meinem heutigen Wissen in der Todesnacht meines Papas anders treffen würde.


Eine Rekapitulation

Um 21.18 Uhr bekam ich den Anruf, dass mein Vater gestürzt sei und es nicht gut aussehen würde. Der Notarzt war bereits informiert. Ich bin den Weg zu meinen Eltern so schnell wie noch nie gefahren. Auf der Fahrt habe ich mir immer wieder gesagt, er solle bitte nicht sterben. Wie ein Mantra, als könne ich das Unfassbare dadurch aufhalten. Als ich ankam, versuchte der Notarzt meinen Papa zurück ins Leben zu holen. Leider vergebens. Nach unfassbar langen 45 Minuten, haben wir den Kampf gegen den Tod, als verloren akzeptieren müssen. Kurz nach 22.00 Uhr hat der Notarzt offiziell den Tod festgestellt.

Um ehrlich zu sein, waren wir in diesem Moment alle komplett überfordert von der Situation. Keiner hat sich im ersten Moment direkt meinem Papa zugewandt. Sofort ging es nur darum, was jetzt getan werden müsse, wer zu informieren sei, welcher Bestatter ausgewählt werden sollte, wie es jetzt grundsätzlich weitergehen soll. Wahrscheinlich eine klassische Übersprunghandlung. Auch wenn ein Mediziner bereits den Tod festgestellt hat, glaube ich mittlerweile fest daran, dass die Toten noch eine Weile um uns sind, bevor sie, bzw. ihre Seelen wirklich gehen. Das habe ich damals in diesem schicksalhaften Moment leider überhaupt nicht in Erwägung gezogen.

Wäre ich noch einmal in dieser Situation, würde ich innehalten, eine Kerze anzünden, vielleicht sogar schöne Musik auflegen, ein Gebet sprechen, aber vor allem würde ich erst einmal bei meinem Papa bleiben.

Entscheidung 1

Mein Papa lag auf dem Boden und wir standen alle ratlos und aufgeregt um ihn herum. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Luft zum Atmen hatte. Aber auf die Idee das Fenster zu öffnen, kam ich in dem Moment nicht. Mittlerweile weiß ich, dass man das in jedem Fall tun sollte, um die Seele frei zu lassen. Ich finde es eine wunderschöne Vorstellung, wenn ein Mensch in einem geschlossenen Raum von uns geht, man der Seele ihren Weg in den Himmel durch ein offenes Fenster ermöglichen sollte, damit diese Frieden finden kann. Aber wir standen so unter Schock, dass im ersten Moment keiner von uns wirklich richtig innehielt, um an so etwas Naheliegendes und Berührendes zu denken.


Entscheidung 2

Wann auch immer ich wieder in so eine Situation komme, ist das Erste was ich machen werde, das Fenster weit zu öffnen. Vor allem auch, als eine Geste des Respekts gegenüber dem Toten.

Nachdem wir sofort den Bestatter informiert hatten, kam dieser ca. 45 Minuten nach Eintritt des Todes gegen 23.00 Uhr. Von da an ging alles viel zu schnell. Wir sollten Kleidung für meinen Papa aussuchen, damit der Bestatter ihn für die Aussegnungshalle am nächsten Tag ankleiden konnte. Mein Papa liebte seine traditionelle Tracht, aber in dieser Nacht haben weder meine Mutter, noch meine Geschwister oder ich diese in Erwägung gezogen. Warum auch immer wir uns auf die Schnelle für einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd entschieden haben, weiß ich bis heute nicht. Das war jedenfalls Kleidung, in der sich mein Papa nie wirklich wohl fühlte.


Entscheidung 3

Mit etwas mehr Ruhe hätten wir bestimmt seine Lieblings-Kleidung als Totenhemd ausgewählt und keinen schwarzen Anzug mit weißem Hemd, nur weil das vielleicht Außenstehende von uns erwartet hätten. Wenn ich daran zurückdenke, macht es mich regelrecht wütend, dass alles so unfassbar schnell ging. Keine Stunde später, gegen Mitternacht, hat der Bestatter meinen Papa mitgenommen. Wir standen zusammen draußen auf der Straße und sahen dem Leichenwagen hinterher. Rückblickend betrachtet frage ich mich, warum wir zugelassen haben, dass der Bestatter ihn sofort mitnahm. Damals hatte ich keine Ahnung, dass man sich in Deutschland je nach Bundesland 24 bis 36 Stunden Zeit lassen kann, bevor ein Leichnam überführt werden muss. Ich hätte keine 36 Stunden benötigt, eine Nacht hätten mir schon geholfen, um das unfassbare leichter begreifen zu können.


Entscheidung 4

Wäre ich noch einmal in der Situation, würde ich darauf bestehen, dass der Bestatter uns hilft, meinen Papa in seinem zu Hause aufzubahren. Stattdessen bin ich gegen 1.00 Uhr nach Hause gefahren und lag den Rest der Nacht wach, unfähig zu begreifen, was in den letzten drei Stunden passiert war. Die Tatsache, dass wir ihn fast unmittelbar nach seinem Tod dem Bestatter mitgegeben haben, lässt mir bis heute keine Ruhe.


Entscheidung 5

Stattdessen hätte ich sehr gerne eine Nacht lang Totenwache bei ihm gehalten; bis zum Morgengrauen. Noch einmal seine Hand halten, die Nähe spüren, in Ruhe Abschied nehmen. Frieden schließen mit dem was war, Dankbarkeit empfinden. Wenn er diese letzte Nacht noch zu Hause geblieben wäre, hätten alle, auch seine Enkelkinder, die Chance gehabt, am nächsten Morgen in Ruhe und im engsten Kreis der Familie Abschied nehmen zu können. So, wie das in anderen Ländern, wie zum Bespiel in Irland, total normal ist. Da er aber noch in der gleichen Nacht vom Bestatter mitgenommen wurde, hatten wir am nächsten Tag lediglich 15 Minuten lang die Möglichkeit, im Beisein aller Verwandten, in der Aussegnungshalle Lebewohl zu sagen. Kurz und unpersönlich!


Erst durch meine Trauerarbeit und meine intensive Beschäftigung mit dem Thema Tod, habe ich verstanden, wie vieles wir aus Unwissenheit und Überforderung in der Nacht des Todes, meines Papas falsch gemacht haben. Durch die Recherche für meinen autobiographischen Ratgeber habe ich vieles gelernt, was ich heute völlig anders machen würde. Mit diesem Wissen möchte ich jetzt auch anderen helfen, die ebenfalls Abschied von einem geliebten Menschen nehmen müssen oder irgendwann mit dem Sterben konfrontiert werden, und dem Thema Tod offen begegnen wollen. Wer bereits Erfahrungen mit dem Tod eines geliebten Menschen machen musste, der weiß, wie wichtig es ist, sich eine Überlebensstrategie für sich selbst zurecht zu legen, damit einen das Thema nicht auffrisst.

Der Tod ist schlimm. Aber ich bin davon überzeugt, dass man ihm den Schrecken nehmen kann, wenn man sich aufgeschlossen mit ihm beschäftigt. Der Tod ist kein Notfall, er gehört zu unserem Leben dazu.

Im Fall des Falles handelt man dann idealerweise im Sinne des Verstorbenen und muss hoffentlich auch für sich selbst im Nachhinein nichts bereuen, sondern hat das Gefühl sein Bestes gegeben zu haben.

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